Grundlagen zur Gesprächsführung

für die Arbeit Ehrenamtlicher in der Begleitung von Schwerkranken und deren Angehörigen*

Zunächst ist es mir wichtig, keine Techniken der Gesprächsführung zu lehren, sondern sich mit der Vorstellung von Beziehungsaufnahme vertraut zu machen. Ehrenamtliche Begleitung ist einerseits eine professionelle Arbeit, weil sie sich die Aufgabe stellt, dem Sterbenden oder Angehörigen unterstützend zur Verfügung zu stehen. Andererseits sind die Beziehung und das Gespräch immer etwas Persönliches, wie es nur zwischen diesen beiden Menschen entstehen kann. Obwohl es etwas ganz Persönliches ist, ist das Gespräch für den Begleiter nie Privatsache. Einerseits geht es für den Begleiter nicht darum, seine eigenen Wünsche zu erfüllen, so sehr es natürlich gut tut, wenn man einem Menschen helfen kann. Der Begleiter hat sich mit dem Gespräch eine Aufgabe vorgenommen, nämlich einem anderen Menschen mit seinen Gefühlen im Zusammenhang mit Trennung und Abschied in Kontakt zu kommen und wenn möglich eine Brücke zu seinen Angehörigen zu finden.
Bei dieser professionellen Aufgabe braucht der Ehrenamtliche die Unterstützung der Gruppe der Ehrenamtlichen und des Vereins Kasseler Hospital. Im Austausch mit der Gruppe der Ehrenamtlichen kann sich jeder über seine Unsicherheiten Klarheit verschaffen und über seine Gefühle sprechen. Dies ist für die eigene Psychohygiene wichtig und macht es möglich, die Zusammenhänge zu verstehen. Das Kasseler Hospital schützt den Ehrenamtlichen vor nicht zu erfüllenden Erwartungen und den Betreuten vor Unprofessionalität. Bei Unzufriedenheit stehen für beide Seiten andere Mitarbeiter, also außenstehende Dritte zur Verfügung.

Ein Gesprächswunsch mit einem Ehrenamtlichen ist in gewisser Weise immer von unbewussten Motiven begleitet. Ein Mensch, der dem Tod nahe ist, muss sich davon verabschieden können, was er sich noch alles vom Leben erwartet hat, was nicht mehr möglich ist und er muss versuchen können, noch zu erreichen, was möglich ist. Verzweiflung, Wut, Hoffnung und viele Gefühle mehr sind in Erwartung des Sterbens verständlich. Nicht zuletzt spürt jeder Mensch, dass er alleine geht. Dennoch ist es wichtig, sich nicht allein gelassen zu fühlen. Ehrenamtliche stehen für das Gespräch zur Verfügung; sie helfen aber auch, die Verbindung zu den Angehörigen herzustellen. Für Sterbende und Angehörige ist die Vorstellung ein Schock, dass ein geliebter Mensch bald sterben wird. Diese Mitteilung löst selbst schon viele Gefühle aus. Nicht zuletzt existiert die weit verbreitete Vorstellung, einen Menschen zu schützen, indem man ihm vormacht, er würde überleben. Offenheit und Begegnung im Zusammenhang mit der bevorstehenden endgültigen Trennung fällt vielen Menschen schwer. Wichtig ist es für den Ehrenamtlichen, hinzuhören, wann der Zeitpunkt ist und die Bereitschaft besteht, über Sterben und Abschiednehmen zu sprechen.
Gerade weil es sich bei Trennung und Trauer um schwierige, weil Themen der Endgültigkeit handelt, die in unserer Kultur nicht geübt werden, ist es verständlich, dass viele Menschen unbewusst versuchen, ihre Gefühle loszuwerden. Die Hoffnung im Gespräch mit einem Ehrenamtlichen ist dann nicht, die realistischen Möglichkeiten im Auge zu haben, sondern geheilt zu werden. Die unbewusste Hoffnung gegenüber einem Ehrenamtlichen kann sein, dass dieser den Tod oder das offene Gespräch mit den Angehörigen erspart. Dann wahrscheinlich bleibt der Ehrenamtliche voller Schuldgefühle oder Wut, etc. über den Patienten. Erst wenn er die Zusammenhänge zwischen den unbewussten Strebungen des Schwerkranken, seinen Schmerz und seine Machtlosigkeit gegenüber dem bevorstehenden Tod an den Helfer abzugeben und seinen eigenen Schuldgefühlen versteht, kann er selbst Abstand finden und in ein hilfreiches Gespräch eintreten.
Diese kurzen Skizzierungen der möglichen Dynamik sollen zeigen, dass Methoden der Geprächsführung für eine Begegnung zwischen Sterbendem und Ehrenamtlichem unbrauchbar sind. Ich schlage stattdessen eine persönliche Einstimmung auf den Kontakt vor.

Vor einem Gespräch finde ich es wichtig, sich bewusst zu machen in welcher Verfassung Sie selbst sind. Bin ich selbst in guter Verfassung, hoffnungsvoll und voller Lebenslust. Oder bin ich traurig, selbst verzweifelt, niedergeschlagen, ist mir heute alles zu viel? Weiterhin ist es gut, sich auf die äußere Situation einzustellen. Findet das Gespräch zu Hause oder im Krankenhaus statt? Hat der Patient selbst gefragt oder finden andere, ein Gespräch könnte ihm gut tun?
Im konkreten Kontakt finde ich es wichtig, sich von Vorsicht leiten zu lassen. Es geht um eine tastende Annäherung, um beobachten. Fragen Sie nach, statt Antworten bereit zu halten. Lassen Sie sich Zeit und Raum zum Nachdenken. Nicht zuletzt, nehmen Sie Ihre eigenen Gefühle ernst und als Anhaltspunkt für eigenes Handeln. Entwickeln Sie ein eigenes Gespür, ob Sie dem anderen zu nahe kommen, zu viel erwarten. Nicht zuletzt will ich Sie auffordern ein Gefühl für zeitliche Sättigung zu entwickeln, wann es reicht. Und ganz wichtig ist: entwickeln Sie ein Empfinden für den Augenblick! Vielleicht will der andere etwas, was Sie überrascht, angesichts seines nahen Todes. Vielleicht fragt er aber auch indirekt, ob Sie bereit sind, mit ihm über sein Sterben zu sprechen.
Die Motive für ein Gespräch mit einem Ehrenamtlichen sind unterschiedlich und können sich im Verlauf verändern. Manche Patienten suchen ein Gespräch, um für sich oder mit Angehörigen noch etwas zu klären. Dabei sind Ihr Beistand und Ihre Klarheit hilfreich, manchmal auch Ihre Vermittlung. Vielleicht will ein Schwerkranker sich auch vom eigenen Leben verabschieden. Dies gelingt ihm mit der Begleitung eines Fremden möglicherweise besser, als mit einem Familienmitglied. Dabei braucht er Sie zum Zuhören, zum Revue-passieren-Lassen des Schönen, das er verliert und des Misslungenen, an dem er gescheitert ist. Oft brauchen Schwerkranke vor allem Ihre Präsenz, um nicht allein zu sein, sich nicht verlassen zu fühlen. In Anwesenheit eines Dritten ist es oft leichter, den Kontakt zu den eigenen Gefühlen zu erhalten oder aufzunehmen. Je mehr die äußeren Aktivitäten eingeschränkt sind, umso wichtiger sind die noch erlebbaren Sinne, zuletzt oft der Hautkontakt und das Hören.

Lassen Sie sich auch dabei von Ihrem eigenen Gefühl leiten und von der Wahrnehmung, wie der Schwerkranke auf Ihre Angebote reagiert. Wenn kein Gespräch gewünscht wird, kann es einem Schwerkranken gut tun, wenn Sie im Zimmer sitzen und stricken oder lesen. Vielleicht lesen Sie etwas vor, singen oder spielen Musik, wenn diese beruhigt. Die Berührung der Hände kann wohltuend sein. Lassen Sie sich den inneren Raum, herauszufinden, welches Angebot Sie machen wollen und welche Wirkung Sie damit haben.
Nicht zuletzt machen Sie sich bewusst, dass Stimmungen und Wünsche sich rasch verändern können. Viele Sterbende sind bald erschöpft. Und plötzlich raffen sie sich auf und wollen noch etwas ‚erledigen‘.


*Hinweise zur Anregung Ehrenamtlicher im Rahmen der Vorbereitung

Literatur: Kübler-Ross