Motive für ein Gespräch

eines Schwerkranken mit einer/einem Ehrenamtlichen*

Kübler-Ross unterscheidet fünf Phasen der Auseinandersetzung mit dem Sterben:
1. Nichtwahrhabenwollen und Isolierung
2. Zorn
3. Verhandeln
4. Depression
5. Zustimmung

Auch wenn man von der strengen Aufeinanderfolge dieser Phasen nicht ausgehen kann, ebenso wenig wie davon, ob jeder Schwerkranke diese Episoden alle überhaupt durchmacht, so finden wir dennoch die aufgeführten psychischen Verfassungen bei Menschen vor, die um die Endgültigkeit ihrer Erkrankung wissen.
Je nachdem, in welcher Grundverfassung ein Mensch sich befindet, wird sein Motiv zu einem Gespräch mit einem Ehrenamtlichen unterschiedlich sein. Ein weiterer wichtiger Hintergrund für die Erwartung an eine Begleitung ist auch, wie bewusst ein Mensch sein Leben immer schon gestaltet hat, wie gut er in der Lage ist, mit Angst fertig zu werden, mit depressiven Stimmungen, wie er mit Kränkungen zurecht kommt, mit Niederlagen, etc. Wir sprechen von psychischen Abwehrmechanismen, die jeder Mensch braucht, um mit den Schwierigkeiten des Alltags zurecht zu kommen. In schweren Krisensituationen neigen die meisten Menschen dazu, zu regredieren, also nicht nur mit ihren erwachsenen Fähigkeiten zu antworten, sondern sich mehr oder weniger zu fühlen wie ein Kind, das die Hilfe von kompetenteren Eltern sucht. Der Wunsch nach ehrenamtlicher Begleitung ist also immer mehr oder weniger von bewussten und unbewussten Motiven bestimmt.

Ich unterscheide drei Wünsche an Formen der Begleitung, die auch nebeneinander oder in zeitlicher Reihenfolge vorkommen können.
1. Der Wunsch nach Präsenz einer Person.
2. Der Wunsch, eine eigene Auseinandersetzung mit der bevorstehenden Trennung vom Leben im Kontakt mit einem anderen Menschen zu führen.
3. Der Wunsch nach Vermittlung gegenüber den Angehörigen.

1. Ein Mensch der entweder keine Angehörigen hat oder mit dem Alleinsein, mit Angst nicht gewohnt ist zurecht zu kommen, leidet u.U. unter erheblicher Unruhe, die er selbst kaum beeinflussen kann. Medikamente werden ihn nicht gut beruhigen, weil Angst vor dem Sterben häufig als Schmerz erlebt wird. Bewusst hat der so geschilderte Patient den Wunsch, dass ein Mensch bei ihm ist. Es tut gut, nicht allein zu sein. Der unbewusste Wunsch ist es, sich zu spüren, zu riechen, Hautkontakt aufzunehmen, zu hören, zu sehen, nach Beruhigung, dass Spannungen reduziert werden, Schmerzen gelindert etc. Mehr oder weniger ist dies Teil jeder Begleitung, nicht etwa für bestimmte Menschen.
Als Begleiter ist es wichtig, dass Sie zunächst körperlich präsent sind. Oft sind nicht viele Worte nötig. Verlassen Sie sich auf Ihr Empfinden. Manchmal ist es wohltuend, wenn Sie stricken oder etwas für sich lesen. Es kann helfen, etwas vorzulesen, vorzusingen, Musik zu spielen. Wenn es stimmig ist, halten Sie die Hand. Machen Sie vorsichtige Angebote und beobachten, wie der Patient darauf reagiert.
Psychodynamisch kann man die Schwierigkeit eines Menschen, sich zu beruhigen, als Regressionsphämomen verstehen. In Panik kann man sich nicht mehr selbst helfen, sondern braucht sein Gegenüber wie eine beruhigende Mutter gegenüber einem Kind.

2. Der Wunsch, sich vom eigenen Leben zu verabschieden ist allzu verständlich. Für viele Menschen ist es leichter, wenn sie mit einem Menschen darüber sprechen können. Es kann damit verbunden sein, in einem Menschen ein kleines Stück weiter zu leben, an den man etwas Eigenes abgegeben hat.
Der bewusste Wunsch an den Ehrenamtlichen ist es, in Gedanken oder real noch einmal mit Personen in Kontakt zu sein oder Orte aufzusuchen, die man lieb gewonnen hat. Der Schwerkranke führt sich das Schöne, Gelungene, Geliebte noch einmal vor Augen, um sich für immer zu verabschieden. Auch das Misslungene, Enttäuschende, sein Scheitern überdenkt er noch einmal, um auch davon loszulassen.
Unbewusst hat der Patient ganz andere Wünsche. Je nach Auseinandersetzung mit seinem bevorstehenden Tod wünscht er sich, dass der Begleiter ihn wie eine große Mutter vor dem Tod beschützt, ihm hilft, weiter zu leben, ihm seine Verzweiflung abnimmt, vor der Depression bewahrt etc. Aufforderungen wie: „Sie müssen mir doch helfen!“ oder „Sie können mir ja doch nicht helfen!“ oder „Alles kein Problem!“, erzeugen Gefühle im Gegenüber: Insuffizienz, Wut, Sorge, etc. Damit ist die Hoffnung verbunden, dass der Begleiter stellvertretend übernimmt. Die unbewusste Hoffnung zielt nicht darauf, die realistischen Möglichkeiten der Beruhigung und der Schmerzminderung zu überlegen, sondern zu ersparen, also das Leben zu erhalten.
Hier wird es eine Gratwanderung sein, einerseits realistische Hilfe anzubieten und andererseits ein Gespräch über die Gefühle des Sterbenden zu ermöglichen. Er hat vielleicht Angst vor dem Sterben, den Schmerzen, dem Ersticken, dem Alleinsein. Vielleicht ist er wütend oder neidisch auf die Weiterlebenden, vielleicht traurig und sehnsüchtig gegenüber dem Verlust des geliebten Menschen, des Sonnentags, des geliebten Essens.
Die unbewussten Wünsche des Patienten sind verständlich, aber nicht zu erfüllen. Deshalb ist es für den Ehrenamtlichen wichtig, die unbewussten Wünsche zu verstehen, um darüber sprechen zu können. Er leidet dann nicht mehr selbst unter einem Gefühl von Ungenügen und er kann dem Patienten ein Gesprächsangebot machen, das zwar nicht erspart, aber Resonanz möglich macht. Der Ehrenamtliche macht sich die unbewussten Wünsche des Schwerkranken bewusst, indem er sich ein Bild seiner eigenen Gefühle und Regungen macht. Manchmal auch erst nach dem Gespräch wird ihm deutlich, welche Gefühle der Sterbende an den Helfer abgeben wollte.

3. Oft fällt es leichter, mit einem Fremden zu sprechen, als mit einem Angehörigen. Der bewusste Abschied von einem Angehörigen bedeutet, es selbst in die Hand zu nehmen, sich Stück für Stück endgültig zu trennen. Diese bewusste Handlung hat eine aggressive Seite, nämlich einander den Schmerz, den Verlust und die Verletzung nicht zu ersparen. Diese bewusste Entscheidung, nun einen eigenen anderen Weg zu gehen, fällt vielen Menschen schwer und erzeugt Schuldgefühle.
Der bewussten Seite, sich von einem Angehörigen nur schwer verabschieden zu können liegt oft auch der Wunsch zugrunde, den anderen zu verschonen. Unbewusst muss der Sterbende mit seiner Machtlosigkeit zurecht kommen, den anderen zurücklassen zu müssen, nicht mehr helfen zu können, neidisch auf den Weiterlebenden zu sein, etc. Wut, Neid, manchmal auch Eifersuchtsvorstellungen erzeugen Schuldgefühle. Gelegentlich machen auch ungelöste Konflikte ein Gespräch mit Angehörigen schwer.
Der bewusste Wunsch an den Ehrenamtlichen kann sein, als Vermittler da zu sein, manchmal zu einem Gespräch zu verhelfen. Der Sterbende kann auch wünschen, an den Angehörigen stellvertretend etwas weiterzugeben oder Grenzen zu setzen. Angehörigen oder Schwerkranken muten einander hin und wieder zu viel zu; häufig wagen sie sich nicht, ihre Überforderung zu zeigen. Manchmal trägt der Ehrenamtliche dazu bei, etwas noch zu regeln. Die unbewussten Wünsche können auch hier sein, zu ersparen, abzunehmen und zu retten.


* Hinweise zur Anregung Ehrenamtlicher im Rahmen der Vorbereitung