Wenn nichts mehr geht

Die psychosoziale Unterstützung des Sterbenden und seines Umfeldes

> Einleitung
> Die Situation der/des Sterbenden
> Die Situation des/der Angehörigen
> Die Ehrenamtlichen
> Ein kurzes Beispiel einer Begleitung
> Literatur

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Einleitung

Ich möchte mit einem Zitat der argentinischen Ethnologin Cipoletti beginnen. Sie schreibt, als sie das erste Mal in Deutschland war, traf sie eine chilenische Kollegin, die ihr gesagt habe: „Du wirst sehen, hier stirbt man nicht!“ (1) Sterben ist in unserer Kultur sozial ausgegrenzt.

Der bevorstehende eigene Tod oder der zu erwartende Tod eines nahen Angehörigen, bzw. Freundes löst verständlicherweise viele Gefühle aus. Angst, Schmerz, Wut, Zorn, Enttäuschung, Vorwürfe, Machtlosigkeit, Hoffnung, etc. führen zu Stimmungsschwankungen und verschiedenen Formen der Abwehr, von Verleugnung bis hin zur Annahme. Dazwischen gibt es depressive Episoden, Zeiten des Haderns mit dem Schicksal, des Gefühls der Wertlosigkeit, der Schuldgefühle, je nachdem, wie zufrieden man mit seinem Leben ist und wieweit man damit abgeschlossen hat. Dazu möchte ich auf die vielen Veröffentlichungen von Kübler-Ross (2) hinweisen.

Aus der Hospizbewegung heraus hat sich die Vorstellung entwickelt, Sterbende und deren Angehörige durch freiwillige Helfer emotional zu begleiten. Ehrenamtliche, stellen sich über längere Zeit – von kurzen Kontakten bis hin zu vielen Monaten – zur Verfügung. Sie versuchen sich auf die emotionale Situation der/des Betroffenen einzustellen. Wenn der Schwerkranke, bzw. der Angehörige bereit ist, können Themen wie voneinander und vom Leben Abschiednehmen aufgegriffen oder ungeklärte, aufgeschobene Themen angesprochen werden. Oft ist es wohltuend, nicht allein zu sein. Hinter der Arbeit ehrenamtlicher Begleitung Sterbender steht die humanistische Vorstellung, dass Leben wertvoll und ein Ausdruck von Lebendigkeit ist, bis zum letzten Atemzug.

Aus dieser Idee heraus haben wir im Kasseler Hospital inzwischen mehrere Gruppen von Ehrenamtlichen ins Leben gerufen, die sich derzeit auf einer Palliativstation des Rotes-Kreuz-Krankenhauses Patienten und deren Angehörigen für begleitende Gespräche zur Verfügung stellen. Wenn der Patient nach Hause entlassen wird, setzen sie die Begleitung auf Wunsch weiter fort. Ich führe die kontinuierliche Supervision durch. Weiterhin angeregt durch das Kasseler Hospital haben sich inzwischen zwei Qualitätszirkel von Ärzten gebildet, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Schwerkranke und Sterbende in deren Familien zu begleiten, bzw. die jeweiligen mit dem Abschied verbundenen Gefühle zu verstehen. Überwiegend sind in den Qualitätszirkeln Hausärzte, aber auch andere stationär und ambulant tätige interessierte Ärzte anderer Fachrichtungen. Zusammen mit den ärztlichen Kollegen leite ich diese Qualitätszirkel.

Warum haben viele Menschen Angst vor dem Sterben? Der Psychosomatiker und Psychoanalytiker v. Uexküll versteht die Angst vor dem Sterben als „die Furcht vor dem Ausgeschlossenwerden aus der Gruppe der Mitmenschen … Ausgeschlossensein wird fast immer als Zusammenbruch des Selbstwerterlebens, als Verlust der Achtung vor sich selbst erfahren und wird dann schwerer ertragen als jedes andere Schicksal.“ (3) v. Uexküll macht weiterhin deutlich, dass Ausgeschlossensein viel gravierender erlebt wird als die „Furcht vor Schmerzen, körperliche(r) Beeinträchtigung oder Nicht-mehr-Sein, unter dem man sich nichts vorstellen kann“ (3). Auch wenn die Erklärungen v. Uexkülls sicher nicht alle Aspekte der Angst vor dem Sterben umfassen, so machen sie dennoch deutlich, wie wichtig es ist, in den letzten Tagen oder Stunden nicht allein zu sein.

Die Situation der/des Sterbenden

Wenn der Tod nicht plötzlich eintritt, sondern der Kranke ihm über längere Zeit entgegengeht, womöglich bettlägerig ist, ist Sterben ein regressiver Prozess. Bewusste und unbewusste Gefühle und Erwartungen stehen nebeneinander und bestimmen seine psychische Verfassung und sein Handeln. Wie schon im bisherigen Leben Abwehrmechanismen für unerfreuliche Gefühle und Ereignisse erforderlich waren, so wird jetzt die schwere Erkrankung und der bevorstehende Tod zeitweise noch mehr Abwehrstrategien wie Verleugnung, Projektionen, Idealisierungen oder (Selbst-) Entwertungen hervorrufen. Diese psychischen Abwehrmechanismen sind dringend erforderlich; sie sind mitunter jedoch von Außenstehenden schwer zu ertragen. Ein Beispiel aus unserer Arbeit: Ein Patient überschüttet seine Helfer (Ehrenamtliche, Schwestern, Arzt und Ehefrau) mit seinen wütenden und anklagenden Selbstzweifeln und seiner Enttäuschung über sein Leben, indem er seine Umgebung seine Machtlosigkeit spüren lässt. So fragt er: „Und wie lange haben Sie noch zu leben?“

Je nach Charakter wird sie/er Unklares regeln oder offen lassen, menschliche Konflikte mit Familienangehörigen oder Freunden noch klären oder vermeiden. Das Wissen um den bevorstehenden Tod kann aber auch bei konfliktscheuen und emotional distanzierten Menschen den Wunsch hervorbringen, das Konflikthafte und Belastende doch anzusprechen. Dabei ist das Gespräch mit einer Person außerhalb der eigenen Familie meist sehr hilfreich und gibt einen wichtigen Rückhalt.

Sterben heißt Sich-Trennen, u.z. vom Leben und von den Menschen, die einem wichtig sind. Da dieser Abschied endgültig ist, fällt es den meisten Menschen in unserer Kultur sehr schwer, bewusst Abschied zu nehmen. Wenn der Sterbende es wünscht, können Ehrenamtliche dabei unterstützen, sich bewusst und mit allen Gefühlen und Phantasien von den im Leben wichtigen Menschen zu verabschieden. Dieser Abschied ist schmerzlich, aber auch ein Ausdruck von Lebendigkeit und von intensivem Miteinander. Eine weitere wichtige Aufgabe der/des Ehrenamtlichen kann es sein, der/dem Sterbenden dabei zu helfen, Angehörige zurücklassen zu können, also die Sorge um sie aufzugeben. Und die/der Ehrenamtliche kann auch darauf hinweisen, die Angehörigen nicht zu erdrücken. Ein Beispiel aus unserer Arbeit: Die Ehefrau eines Pat. sprach auf der Station viele Mitarbeiter an und wirkte sehr verwirrt. Die anschließenden Gespräche zwischen dem Ehepaar und einem Ehrenamtlichen machten deutlich, dass die Frau sehr unselbständig war, ihr Mann Vieles für sie übernommen hatte. Nun war dieser dazu nicht mehr in der Lage. Die Frau war überflutet von vielfältigen Gefühlen, vor allem der Angst. Die begleitenden Gespräche halfen dem Ehemann, loszulassen, seine Sorge um seine Frau an diese abzugeben. Zunehmend besann sich die Ehefrau ihrer eigenen Fähigkeiten, besuchte Freundinnen und wandte sich immer wieder mit konkreten und emotionalen Fragen an Mitarbeiter des Kasseler Hospitals, verstärkt nach dem Tod ihres Mannes. Sie und andere Angehörige brachten uns auf die Idee, eine Angehörigengruppe zu initiieren, das Trauercafè, das derzeit im Entstehen ist.

Manche Menschen ziehen am Ende des Lebens eine Lebensbilanz. Dies kann zusammen mit den Angehörigen geschehen oder für sich selbst. Ein Mensch, der außerhalb der eigenen Familie steht, muss nicht verschont werden. Ihr oder ihm kann der Sterbende sagen, was er geliebt hat, aber auch, wovon er enttäuscht ist. Besonders schwer ist es, wenn die Enttäuschung bei Weitem überwiegt, wenn sie/er sich viele Wünsche nicht erfüllen konnte. Nach unseren Erfahrungen ist es sehr schwer, wenn junge Menschen todkrank sind, z.B. Mütter von kleinen Kindern. Es ist für alle Beteiligten schwer, die Machtlosigkeit der Krankheit und des bevorstehenden Todes dann zu akzeptieren.

Nicht zuletzt möchte ich auf ganz andere Formen des Abschiedes hinweisen. Ein Patient bat einen Ehrenamtlichen, ihn noch einmal in sein Stammlokal zu begleiten. Eine Patientin wollte noch einmal ein Glas Rotwein trinken, und eine andere noch einmal richtig gepflegt in ihrer Wohnung Geburtstag feiern. Es kann wichtig sein, noch einmal zu erleben, was man geliebt hat oder die lieb gewonnen Orte aufzusuchen, um sie für immer verlassen zu können. Und natürlich kann sich ein todkranker Mensch wünschen, in seinen letzten Stunden fortzusetzen, was er gemocht hat, wie zu lesen, zu singen, zu beten; die/der Ehrenamtliche können dabei sein oder ergänzen, wenn der Sterbende beispielsweise selbst nicht mehr lesen kann. Manchmal hilft die körperliche Präsenz des Begleiters, vielleicht ein Händehalten, sich nicht allein gelassen, verlassen zu fühlen.

Die Situation des/der Angehörigen

Auch für den Angehörigen ist die Trennung ein regressiver Prozess. Er wird verlassen, allein gelassen und ist machtlos. Welche Gefühle ausgelöst werden, hängt von der Beziehung, der Persönlichkeit und der Dauer der Erkrankung des Sterbenden ab.

Ehrenamtliche sind wichtig, um beim Verabschieden zu helfen, wenn der Abschied besonders schwer fällt oder wenn die letzte gemeinsame Zeit zu einer Qual des Festhaltens oder der Schuldgefühle wird. Ein Beispiel aus unserer Arbeit: Eine Tochter hatte große Schwierigkeiten, ihrer sterbenden Mutter zu sagen, dass sie auch ein eigenes Leben, unabhängig von ihr, hat. Erst nach Gesprächen mit einer ehrenamtlichen Begleiterin gestand sich die Tochter zu, nicht jeden Abend bei der Mutter im Krankenhaus zu verbringen. Schuldgefühle können auch entstehen, wenn ein Kind stirbt, wenn die Eltern sich fragen, warum das Kind, warum nicht ich? Ungeklärte Konflikte, eine unbefriedigende Ehe u.v.m. können Hintergründe von Schuldgefühlen sein. Ehrenamtliche können dann behilflich sein, sie auszusprechen.

Oft ist die Präsenz eines Ehrenamtlichen wichtig, dass Sterbender und Angehörige in Kontakt bleiben oder kommen. So kann es sein, dass ein Mensch einen sterbenden Partner oder ein Elternteil nur erträgt, in Anwesenheit und mit der Unterstützung eines Dritten. Vor allem hilft der Außenstehende mitunter, formalisierte, äußerliche, z.B. versorgende Beziehungsmuster zu verlassen und sich einander emotional zu nähern.

Sogenannte „unerlaubte Gefühle“ können eher gegenüber einem Außenstehenden angesprochen werden, als gegenüber Familienmitgliedern oder dem Sterbenden selbst. Ein Angehöriger braucht beispielsweise Unterstützung darin, den Sterbenden gehen zu lassen. Oder Empfindungen wie: ich kann nicht mehr, hoffentlich stirbt er bald, können leichter gegenüber einem Außenstehenden geäußert werden.

Die Gefühle des Abschiednehmens sind für viele Angehörige nicht mit dem Tod des anderen abgeschlossen. Oft sind Gespräche zwischen Angehörigen und Ehrenamtlichen auch lange nach dem Tod des Patienten nötig, um die vielfältigen Gefühle von Trauer über Wut, Verlassenheit, Hilflosigkeit und Schuldgefühle, bis hin zu Erleichterung bewältigen zu können. Mit unserer Unterstützung entsteht derzeit eine Angehörigengruppe, in der die Hinterbliebenen auch miteinander über ihre Gefühle sprechen können.

Manche Formen des Abschiednehmens von Angehörigen sind für Ehrenamtliche „schwer verdaulich“. Es ist nicht leicht, hinnehmen zu müssen, wenn Menschen ihre formalen und emotional distanzierten Beziehungen bis zum Ende aufrechterhalten, also die Chance des Abschiednehmens nicht nutzen. Manchmal ist der Abschiedsprozess schon lange vor dem physischen Tod abgeschlossen.

Die Ehrenamtlichen

Die Aufgaben der Ehrenamtlichen und die Chancen, als Außenstehende und dennoch Anteilnehmende wurden bereits genannt, nämlich Einfluss zu nehmen auf den Prozess des individuellen Abschiednehmens und des Sich-Lösens zwischen Sterbenden und Hinterbliebenen. Ich will deshalb an dieser Stelle nur noch ein paar kurze Anmerkungen machen.

Die Begleitung des Sterbenden und seiner Angehörigen ist immer eine Beziehungsaufnahme. Die/der Ehrenamtliche lässt sich ein, erlebt viele Gefühle und lässt es zu, dass die/der Betreute viele Gefühle in ihm auslöst. Diese Anteilnahme ist die Voraussetzung dafür, Menschen emotional begleiten zu können. Deshalb ist der Tod auch für den Begleiter eine Trennung. Auch er wird verlassen, erlebt Gefühle der Trauer, vielleicht auch der Erleichterung, der Enttäuschung, je nach Verlauf der Begleitung. Auch er muss sich erst lösen und nach dem Verlust langsam psychisch reorganisieren. Deshalb beginnen Ehrenamtliche nie gleich mit einer weiteren Begleitung. Als ein eindrucksvolles Beispiel für die Nähe und den unbewusste Kontakt, der in Begleitungen entstehen kann, möchte ich folgende Mitteilungen nennen. Mehrere Ehrenamtliche sagten in der Supervision, sie seien ganz plötzlich unruhig geworden, hätten sich gefragt, ob mit dem Betreuten etwas sei, es ihm womöglich schlechter gehe. Auf Nachfrage erfuhren sie, dass der Betreute gerade verstorben war. Diese intensive unbewusste Verbindung zu einem eigentlich fremden Menschen war zunächst unheimlich und beunruhigend. Das Beispiel zeigt aber auch, dass die Beziehung zwischen Ehrenamtlichen und Betreuten immer etwas Gegenseitiges hat, nämlich von dem Wunsch geprägt ist, einander zu erreichen.

Die Haltung, mit der der Ehrenamtliche auf den Schwerkranken oder die Angehörigen zugeht sind: Vorsicht, Unaufdringlichkeit, Interesse, Empathie. Dennoch kann es wichtig sein, Fragen und Angebote gerade in diesem Augenblick aufzunehmen. Z.B. fragt ein Patient: „Werde ich sterben?“. Mit der Direktheit dieser Frage überrascht er vielleicht sehr. Kübler-Ross weist darauf hin, dass dieser Augenblick, so direkt zu fragen und sich selbst Klarheit zu verschaffen, oft nie wiederkehrt. Dazu will ich auch auf das noch folgende Beispiel verweisen.

Es ist vermutlich deutlich geworden, wie häufig Ehrenamtliche an ihre eigenen Grenzen kommen können, z.B. wenn die Belastungen sehr groß werden, wenn der Ehrenamtliche in die emotionalen oder familiären Verstrickungen sehr einbezogen wird. Dies kann notwendig sein, aber auch zu großen eigenen Irritationen des Begleiters führen. Einerseits müssen die ausgelösten Gefühle und Erfahrungen verdaut werden, und andererseits soll der Begleiter wieder den Abstand zu finden, das Erlebte im Hinblick auf die Arbeit zu verstehen. Zur eigenen Verarbeitung und um eine professionelle Haltung zu bewahren, sind dringend regelmäßige Supervisionsbesprechungen nötig.

Am Ende möchte ich nur noch erwähnen, dass selbstverständlich die emotionale Begleitung durch die Ehrenamtlichen integriert sein muss in ein ärztliches und pflegerisches Gesamtkonzept. Und es hat sich gezeigt, dass es sinnvoll ist, die auf der Station begonnene Begleitung auch im häuslichen Bereich fortzusetzen, wenn der Patient nach Hause entlassen wird.

Ein kurzes Beispiel einer Begleitung

Eine ehrenamtliche Begleiterin, ich nenne sie Frau Müller, wird zu einer Patientin gerufen.

Sie findet eine Mitte fünfzigjährige Frau, ich nenne sie Frau Meier, und ihren etwa sechzigjährigen Mann vor. Beide betonen, dass sie niemanden zum Gespräch brauchen; sie hätten ja einander. Frau Müller macht deutlich, dass sie das gut verstehen könne und dass sie wieder gehen werde. Aber dann bittet Frau Maier sie, doch zu bleiben. Danach versucht Frau Müller, ins Gespräch zu kommen. Sie fragt nach der Krankheit, was sich Frau Meier aktuell wünsche, wo sie wohne, ob es für den Mann schwierig sei, herzukommen, etc. Dabei kommt Frau Meier auf ihren Garten zu sprechen. Sie sei so gern im Garten gewesen, habe gearbeitet, geerntet, gerne dort ihre Zeit verbracht. Schön war es, mit den Nachbarn Feste zu feiern. Herr Meier wirft ein: „Du warst so eine tolle Tänzerin.“ Trotz ihrer Gebrechlichkeit wirkt sie auf Frau Müller für einen Moment so, dass die Lebenslust der Patientin gut vorstellbar ist. Nach einer Weile fällt ihr ein, dass sie oft ungeduldig wurde. Ihr Mann antwortet sehr nachdenklich und legt seine Hand auf ihren Arm: „Das war doch gar nicht schlimm.“ Für einen Moment ist etwas sehr Nahes und sehr Verzeihliches im Raum. Nach einer Weile fragt Frau Müller, was heute aus dem Garten geworden sei. Frau Meier antwortet prompt, dass der Sohn den Garten weiterführe. Früher habe er Gartenarbeit nicht gemocht. Das habe sich aber in letzter Zeit geändert. Frau Müller macht darauf aufmerksam, dass es sie sicher zufrieden mache, wenn das weitergehe, was ihr so wichtig gewesen sei. Das Ehepaar wirkt sehr zufrieden, die Patientin aber auch sehr erschöpft. Frau Müller verabschiedet sich und fragt, ob Frau Meier wünsche, dass sie wiederkomme. Frau Meier überlegt einen Augenblick und sagt dann: „ach, vielleicht können Sie mich in 2 – 3 Tagen anrufen. Dann kann ich sehen, wie es mir geht.“ Frau Meier ist am Morgen des folgenden Tages verstorben.

Erst durch die Nachricht des Todes von Frau Meier wurde sich Frau Müller dessen bewusst, dass das Gespräch sich zu einem Abschiednehmen der beiden Ehepartner entwickelt hatte. Sie erinnerten sich beide gemeinsam der schönen Seiten ihres Lebens. Frau Meier konnte auch ansprechen, was sie offenbar belastet hatte, nämlich wie ungeduldig sie immer wieder gewesen war, und ihr Mann konnte ihr verzeihen. Nicht zuletzt durch das intensive Gespräch konnte sie loslassen und gehen. Frau Müller erlebte sich als einen Katalysator, dessen Präsenz das Gespräch der beiden Partner erst möglich gemacht hatte. Ihr blieb ein sehr intensiver gefühlsmäßiger Eindruck von Nähe und Verständnis.



Literatur

(1) Cipoletti, Maria Susanna: Langsamer Abschied. Tod und Jenseits im Kulturenvergleich. Museum für Völkerkunde, Ffm, 1989, S. 291.

(2) Kübler-Ross, Elisabeth: Leben bis wir Abschied nehmen. 1998.
Und weitere Veröffentlichungen von Kübler-Ross.

(3) Köhle, Karl, et. al.: zum Umgang mit unheilbar Kranken. In: v. Uexküll, Thure: Psychosomatische Medizin, 1990, S. 1214


Vortrag vom 01.06.2002 vor der Hessischen Krebsgesellschaft in Kassel